Innovative Bambuskuppel als Pavillon am Bauhaus

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Temporärer Pavillon (>>>ENGLISH VERSION)
von Karen Modrei und Marco Luca Reusch

Dieser Pavillon wurde im Rahmen einer Bachelorarbeit entworfen und soll nicht nur Begleitung der Ausstellung “selam bauhaus”, sondern auch Aufenthalts- und Begegnungsraum sein. Der Entwurf steht auf drei Grundpfeilern: Umweltverträglichkeit, Innovation und Experiment, Gegenwärtigkeit. Die Umweltverträglichkeit unserer Pavillons findet vor allem in der Materialwahl ihren Ausdruck. Der Pavillon ist ein temporärer Bau, der lediglich für wenige Wochen an einem Stück errichtet sein wird. Die Aufgabe von uns Architekten ist es, die Materialwahl der einzelnen Bauteile vor dem Hintergrund des Lebenszyklus der Gesamtkonstruktion zu untersuchen und hinterfragen.

Für unsere Zwecke haben sich natürliche Materialien als bestens geeignet erwiesen. Es ist nachhaltiger und kostengünstiger, hin und wieder ein defektes Einzelteil gegen ein neues auszutauschen, als Teile zu verbauen, die mit ihrer Lebensdauer über das Geforderte hinausschießen. Der Pavillon ist ausschließlich aus nachwachsenden und recycelten Rohstoffen gebaut – am offensichtlichsten: der Bambus. Wir haben Bambus als zentrales Baumaterial gewählt, um auf dessen Potential als schnell wachsenden und leistungsfähigen Baustoff aufmerksam zu machen. Während einer Studienreise nach Äthiopien, welches das größte Bambusvorkommen auf dem ganzen afrikanischen Kontinent vorweist, hatten wir die Möglichkeit, viel über dieses Material zu lernen. Auffällig war, dass man Bambus in zeitgenössischer äthiopischer Architektur vergebens sucht, obwohl er doch zahlreich Anwendung in traditionellen Bauweisen findet. Wir sind von seinem zukunftsfähigen Potential überzeugt – nicht nur für Äthiopien! Die Innovation und der experimentelle Charakter des Pavillons zeigen sich im Detail seiner Konstruktion. Als Konstruktionsweise haben wir uns für ein Hebelstabwerk entschieden. Diese Form von Konstruktion erfordert keine steifen Verbindungen, die Knotenpunkte müssen lediglich an Ort und Stelle gehalten werden, um ein Versagen der Struktur zu vermeiden.

Wir haben einen gestrickten Verbinder entwickelt, der sowohl die konstruktiven Anforderungen erfüllt, als auch unseren Ansprüchen an die Umweltverträglichkeit gerecht wird. Das Gestrick hat ein richtiges Maß an Flexibilität, um auf unterschiedlich große Durchmesser reagieren zu können – eine Eigenschaft, die sich für das Konstruieren mit Naturbaustoffen als durchaus nützlich erweist. Dadurch wird verhindert, dass die Stangen für die Konstruktion beschädigt werden müssen. Die Farbkodierung der textilen Verbinder erzeugt einen gewissen Rhythmus innerhalb der Struktur, was den Aufbau bedeutend erleichtert. Die Verbinder sind leicht auf und abzuziehen und können beliebig oft wiederverwendet werden.

Um vor Sonne und Durchblicken zu schützen sind die Leinwände in das Muster des Tragwerkes eingefügt. Diese dienen zudem als unterstützendes, die Knotenpunkte aussteifendes, Element. Indem wir Textilien als konstruktive und ästhetische Bauteile verwenden, wollen wir auf das reiche Erbe der deutschen Textilindustrie verweisen – damit verbunden sind die Textilwerkstätten des Staatlichen Bauhaus. Hier spielten Textilien, wenn auch hauptsächlich in Kunst- und Gestaltungsanwendungen, eine wichtige und hoch geschätzte Rolle. Wir wollen das hundertjährige Jubiläum dieser Kunstschule zum Anlass nehmen, ein Weiterdenken textiler Anwendungen zu versuchen und das Experiment zu wagen.

Der gegenwärtige Charakter des Entwurfs wird durch sein Eingehen auf aktuelle gesellschaftspolitische Strömungen deutlich. Mobilität spielt heutzutage eine zunehmend bedeutende Rolle. In Zeiten, in denen wir schnell und zu erschwinglichen Preisen in nahezu alle Teile der Welt reisen können, wird Mobilität zu einem fortwährenden Anspruch. Das zeigt sich auch in unserem Wohnverhalten – wir wollen unverbindliche Architektur, die sich unserem beschleunigten Lebenstakt anpasst. Wenn man die Wohnstrategien der Nomaden betrachtet, merkt man, dass diese von ähnlichen Gründen geprägt sind – ihre Architektur muss sich geänderten Ansprüchen und Umwelten anpassen können. Ein Merkmal dieser Architektur ist die Beschränkung der Baumaterialien. Die Nomaden tragen ihr Hab und Gut auf ihrer Reise mit sich, Größe und Gewicht sind daher begrenzt. Unser Pavillon besteht aus drei Elementen: Bambusstangen, textile Verbinder und Leinwände. Verpackt passen alle Teile des Pavillons in einen Quader von 80cm x 50cm x 360cm passen, und haben ein Gewicht von ca. 250 Kilogramm.

80|50|360 wird die Wanderausstellung “selam bauhaus” auf ihrem Weg von Weimar über Augsburg nach Addis Abeba in Äthiopien begleiten. Daher war es besonders wichtig, einen Pavillon zu entwerfen, der leicht auseinander zu nehmen, zu verpacken und wieder aufzubauen ist. Wir wünschen unserem Pavillon eine gute Reise und hoffen, dass er Spuren hinterlässt.

ENTWURF
Bachelorthesis Architektur
Karen Modrei | Marco Luca Reusch
Wintersemester 2018|2019
Bauhaus University Weimar
Konstruktives Entwerfen und Tragwerkslehre
Prof. Dr.-Ing- Jürgen Ruth
Dr.-Ing. Katrin Linne
Entwerfen und Tragwerkskonstruktion
Dr.-Ing. Stephan Schütz

weiterführende Links zum Thema Hebelstabwerk:
https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Forschungsprojekt_an_der_ETH_Zuerich_1108781.html
und:
https://id-regensburg.de/portfolio/exzentrische-verbindungen/
Bilder:
Hebelstabwerk (Google)
Literatur:
Hebelstabwerke : Tradition und Innovation = Reciprocal frameworks : tradition and innovation, Autoren: Udo Thönissen; Thomas Skelton-Robinson