Ein unvergleichliches Gras, 4.Teil

von Sandra Makowski

„In Asien ist Bambus allgegenwärtig. 80 % der Essstäbchen, die in asiatischen Restaurants in aller Welt zum Einsatz kommen, sind aus Bambus. Pandabären essen täglich fast 20 Kilo von den grünen Rohren. Hierzulande hip, gilt die Pflanze in anderen Ländern als Traditionsmaterial. Was dem Deutschen die Eiche ist, ist dem Asiaten der Bambus. Ein Symbol für ein langes Leben in China, ein Zeichen für Freundschaft in Indien. In Japan wird um Shinto- Schreine oft ein Bambuswald angelegt – als symbolische Barriere gegen das Böse. Viele Mythen ranken sich um die Pflanze, etwa die vom Bambussammler, der in einem Rohr ein Kind entdeckt, es aufzieht, ihm den Namen Kaguya-hime gibt – und fortan Goldstücke in den Gräsern findet.

Längst ist Bambus zu einem Wirtschaftsfaktor von globaler Bedeutung geworden. Die rund 1.500 Arten sprießen in vielen Regionen der Welt, von Ruanda bis Chile – manche Sorten gedeihen sogar nah an der Schneegrenze. Eine Vielfalt, die ein vielgestaltiges Design mit diesem nachwachsenden Rohstoff möglich macht. Mit verschiedenen Farbnuancen, Werkstoffen, Größen. Und einem „Crossover“ aus traditionellem asiatischem Stil und westlichem Design. „Der asiatische Stil ist immer noch ein bisschen kolonial“, sagt etwa Leonne Cuppen vom Eindhovener Designbüro „Yksi“. „Aber dafür ist die Qualität der Handarbeit in Asien sehr hochwertig.“

Andererseits gibt es in den Herkunftsländern des Werkstoffs längst modernes Bambusdesign – etwa den „Tea Ceremony Chair“, bei dem der japanische Gestalter Hiroki Takada die Ästhetik und das Material des traditionellen Teebesens auf einen Stuhl übertrug. Asien hat, was die Verarbeitung der Pflanze angeht, mehrere Jahrhunderte Vorsprung. „In Europa hat man kein traditionelles Wissen über diesen Werkstoff“, erklärt etwa der indische Designer Sandeep Sangaru, „deshalb wird Bambus im Westen eher wie Holz verarbeitet.“ Der Stil jener Designer, die das Material erst importieren müssen, habe daher eher eine industrielle Ästhetik.

Dieses unvergleichliche Gras, das weltweit rund 37 Millionen Hektar Land bedeckt, eröffnet eine solche Fülle an Möglichkeiten für ästhetische Gestaltung wie kaum ein anderes naturgewachsenes Material. Das beginnt schon bei der Zweifarbigkeit seiner Schale, die, raffiniert verarbeitet, augenfällige Kontraste ergibt. Dann die charakteristische Ringbildung. Die Verdickungen zwischen den Internodien, die jeden Halm gleichmäßig unterteilen. All das kann Gestaltern einen interessanten Rhythmus vorgeben.

Ein vielseitiges Material, ob dick oder schmal, lang oder kurz, verschnürt oder verschraubt, laminiert oder pur. Mit der richtigen Idee lässt es sich auch in grünem Zustand verarbeiten – und manchmal entstehen die schönsten Bambus-Objekte durch Zufall. „Wir wollten unsere Entwürfe eigentlich mit Sperrholz aus ostaustralischer Araukarie realisieren“, erzählt der in Neuseeland arbeitende Designer David Trubridge. Doch dann schloss die einzige australische Fabrik für jenen Holzwerkstoff plötzlich ihre Pforten. Eine hastig gesuchte Alternative erwies sich als ungeeignet, denn das Holz stammte aus Kahlschlagrodung. Jetzt kommt das Material für die gebogenen Lampen, die es so ziemlich in jedem Winkel der Erde auf die „Musthave“-Seiten der Designmagazine geschafft haben, aus einem chinesischen Bambuswald. Und ist nach einiger Tüftelei auch in hauchdünnen Lagen zu haben – unverzichtbar, denn eine filigrane Wohnzimmerlampe, für die das Material in kleinem Radius gebogen wird, verlangt gleichermaßen stabile wie biegsame Hölzer. „Das wäre mit klassischem Sperrholz kaum möglich gewesen“, meint Trubridge.“

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Quelle: http://www.premiumpark.de/artikel/ein-unvergleichliches-gras

Autorin: Sandra Makowski, nurweiterso.de