Bauen mit Bambus, 5.Teil: Konstruktionen

KONSTRUKTIONEN Mit der Einführung moderner Werkstoffe wie Stahl und Zement hat Bambus in seinen Ursprungsländern den Ruf des Baustoffs der Armen erhalten. Seit einiger Zeit beweisen diverse Projekte, dass Bambus für mehr als für ärmliche Siedlungen oder sozialen Wohnungsbau geeignet ist. Namhafte Architekten wie Renzo Piano und Shigeru Ban haben mit Bambus experimentiert. Der kolumbianische Bambus-Architekt Simón Vélez realisierte den ZERI-Pavillon und baut für wohlhabende Kunden ausgefallene Bambuskonstruktionen. Unlängst bemerkte der Forstbiologe und Bambusspezialist Prof. Dr. Walter Liese: „Bamboo – from poor men’s timber into green gold!“ Der ZERI-Pavillon in Hannover erregte viel Aufmerksamkeit, obwohl er nach der EXPO zugunsten der Gewinnung von Parkfläche abgerissen wurde. Gunther Pauli beauftragte damals Simón Vélez mit dem Bau eines Bambus-Pavillons für seine Zero Emission Research Initiative (ZERI). Die deutschen Behörden betrachteten dieses Bauvorhaben im Vorfeld der Weltausstellung äußerst kritisch, vor dem Hintergrund, dass es keine gesicherten Erkenntnisse zu diesem gebietsfremden Baustoff gab. Der Pavillon wurde als Prototyp in Manizales, Kolumbien erbaut und vor Ort durch den damaligen Leiter des Instituts für experimentelle Statik der Hochschule Bremen, Prof. Dr. Klaus Steffens, diversen Belastungstests unterzogen. Steffens zeigte sich „schwer beeindruckt“, da die ermittelten Verformungen unter Last zum Teil wesentlich geringer waren, als zuvor rechnerisch ermittelt. Parallel zur experimentellen Tragwerksanalyse untersuchte Dr. Simon Aicher am Otto-Graf-Institut Stuttgart sowohl das Baumaterial Bambus Guadua angustifolia als auch die verwendeten Verbindungstechniken im Rahmen von Lastversuchen. Weitere Belastungsversuche am fertigen Bauwerk in Hannover stellten die tatsächliche Gebrauchstauglichkeit fest.

Der deutsch-kolumbianische Tischler Jörg Stamm war damals für die Erstellung von vorlagefähigen Bauzeichnungen verantwortlich, denn Vélez fertigt stets nur Handskizzen für seine kühnen Bauten an. Bereits im Jahr 1996 baute Jörg Stamm die erste moderne Bambusbrücke der Neuzeit in Kolumbien. Auch er hatte damals mit den zulassenden Behörden in Kolumbien zu kämpfen. Denn er fand zunächst vor Ort keinen Statiker zur Berechnung, und ohne Statik wurde keine Baugenehmigung erteilt. Prof. Dr. Wilfried Führer und sein Team vom Lehrstuhl für Tragkonstruktionen der RWTH Aachen ließen sich von Stamms Idee begeistern und sorgten für die entsprechenden Berechnungen. Mittlerweile hat sich Jörg Stamm weltweit einen Namen als Bambus-Brückenbaumeister gemacht. Kürzlich (2007) demonstrierte er mit zwei Bauwerken auf Bali in beeindruckender Weise die Möglichkeiten des Baumaterials Bambus. Eine Brücke und eine Halle wurden im Auftrag eines Produzenten für exklusiven Silberschmuck, John Hardy, realisiert. Die Tragkonstruktion der zeltförmigen Halle besteht aus drei schlanken, hyperboloiden Zylindern, die zugbelastete Sparren tragen. Und wieder erhielt Stamm Unterstützung von deutschen Ingenieuren. Prof. Dr. Ulrich Neuhof und seine Studenten vom Fachbereich Bauingenieurwesen der Fachhochschule Erfurt untersuchten und berechneten die Tragkonstruktion während einer Exkursion nach Bali und untermauerten Stamms Bauwerk.

Im Jahr 2003 wurde in Norditalien die erste permanente Baukonstruktion aus Bambus in Europa fertig gestellt. Der Vergiate-Pavillon dient öffentlichen Zwecken der Gemeinde Vergiate. Valeria Chioetto und der Architekt Neri Braulin wurden als Initiatoren dieses Projektes durch den Bau des ZERI-Pavillons angeregt. Das Gebäude wurde nach einem Entwurf von Simón Vélez während eines internationalen Workshops realisiert. Es wurden ähnliche Verbindungstechniken wie bei der Errichtung des ZERI-Pavillons angewendet. 2004 wurde in Luxemburg anlässlich eines internationalen Pfadfinderlagers möglicherweise die größte Bambuskuppel realisiert. Christoph Tönges entwarf die Konstruktion in seiner Diplomarbeit.

Der sogenannte BambooDome wurde durch die Entwicklung eines leistungsfähigen Stabanschlusses und nicht zuletzt durch die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Studenten und Pfadfinder möglich. Das reine Stabwerk stand symbolisch für die Welt im Herzen des Global Development Village. Mit den Ausmaßen von 11 m Höhe und 13 m Durchmesser bei bis zu 8 m langen Bambusstäben ist der BambooDome ein beeindruckender Beweis für die Leistungsfähigkeit und Konstruktionsmöglichkeiten von Bambus. Mit der gleichen Verbindungstechnik entstand 2005 in Darmstadt die erste permanente Bambustragkonstruktion Deutschlands. Die Ingenieure und Feng-Shui-Berater Susanne Körner und Tilman Schäberle des Planungsbüros Shaktihaus haben in Darmstadt ein Bürogebäude gebaut, dessen Dachkonstruktion von 33 Bambusstützen getragen wird. Neben dem Bambus sind weitere ökologische Lösungen und Materialien zum Einsatz gekommen, wie z.B. lehmverputzten Strohballenwände. Das Bambushaus steht auf einem Platz vor einem als Studentenwohnheim genutzten Hochhaus.

Es ist umgeben von großen Brunnen und bunten Mosaiken, die Boden, Wände und Bänke zieren. Die organischen Formen des Bürogebäudes bilden in diesem avantgardistischen Ensemble, mit dem der Bauherr Henry Nold die Tradition der Darmstädter Künstlerkolonie wiederaufleben lassen will, den harmonischen Schwerpunkt. Von außen fallen die durchweg geschwungenen Formen und die markante Lichtkuppel, die das Gebäude krönt, ins Auge. Die Nutzung des Gebäudes überrascht – es wird als Büro für eine Autowerkstatt genutzt. Tönges lieferte und montierte 33 Bambusstützen, welche sichtbar im Innenraum stehen. Das Ministerium für Wirtschaft und Technik in Wiesbaden erteilte die Zustimmung im Einzelfall auf Basis der Aachener Erkenntnisse ohne eine weitere Prüfung zu verlangen. Zwischenzeitlich wurde die Verbindungstechnik von der Firma CONBAM weiterentwickelt, erfolgreich angewendet und u.a. mit dem red dot product design award und dem iF material gold award ausgezeichnet. Ebenfalls im Jahr 2005 stellten die Architekten Anna Heringer (Österreich) und Eike Roswag (Berlin) in Bangladesch ein Schulgebäude aus Lehm und Bambus fertig. Hierfür erhielten sie u.a. den Aga-Khan-Architekturpreis.

AUSBLICK Diese Beispiele aus den letzten zehn Jahren zeigen das enorme Potenzial des Baustoffs Bambus. Die Gesetzgebung weist ihn jedoch insbesondere aufgrund fehlender Regelwerke und Grundlagen in seine Schranken. Um Bambus einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, sind zudem weitere Bemühungen auf den Gebieten der Grundlagenforschung, der Lehre, der Produktentwicklung, des Vertriebs und des Marketings notwendig.

Christoph Tönges

> 1. Teil: Grundlagen

> 2. Teil: Bambusarten

> 3. Teil: Verarbeitung

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