Bambus – Die (fast) perfekte Röhre

Bambus – Die verholzenden Gräser werden öfter als kleines Wunder der Natur für die Verwendung im Bau gepriesen. Es wächst fantastisch schnell und hat herausragende Festigkeitseigenschaften. Dass der Bambus auch seine Tücken hat, ist eher weniger bekannt.

Auf den ersten Blick ist Bambus ein geniales Baumaterial. Seine Röhrenform ist allen anderen technischen Querschnittsformen in Punkto Festig- und Steifigkeit haushoch überlegen, vor allem den Vollquerschnitten wie sie beim Holz üblicherweise zum Einsatz kommen. Auf den zweiten Blick stellt sich heraus: der Bambus ist kein einfaches Holz, weil die Röhre eben nur fast perfekt ist. Der gelernte Schreiner Jörg Stamm arbeitet im Süden Kolumbiens seit über15 Jahren mit dem Material. Er konstruiert nicht nur Häuser mit Bambus, sondern baut auch Brücken mit bis zu 40 m Spannweite und arbeitet als Experte für die UN, um die Verwendung des Materials auf der Welt voranzubringen. Stamm weiß, wo die Haken stecken beim Guadua, einem Vertreter aus der Familie Riesenbambus, der in diesen Breiten hauptsächlich verwendet wird. Und das fängt schon in einem frühen Stadium an, damit aus dem Holz am Ende auch wertvolles Material für die konstruktive Verwendung wird.

Die Qualität sieht man nicht

«Oft werden die Stangen zu früh eingeschlagen, dann ist der Reifeprozess des Materials noch nicht abgeschlossen», erklärt Jörg Stamm das größte Problem beim ersten Schritt, dem Einkauf des Bambus. Die Pflanze wächst unglaublich schnell. Bis zu 20 cm Höhenwachstum am Tag sind möglich. Bambus besitzt kein Kambium und damit kein sekundäres Dickenwachstum. Er erwächst in dem Durchmesser, den er auch nach Jahren noch hat. Die Endhöhe der Röhre richtet sich wie auch ihre Dicke nach der Mutterpflanze, die sich über sogenannte Rhizome, also Bodenausläufer, verjüngt. Die Höhe eines Halmes entspricht etwa ihrem 52fachen Umfang. Nach nur sechs Monaten sind die Stangen ausgewachsen. Für den Laien ist es deshalb schwer zu erkennen, wie alt ein Bambus ist. Vier Jahre Reifezeit sind aber nötig bis das Material geerntet und in die konstruktive Verwendung gehen kann. «In dieser Zeit verändern sich die Inhaltsstoffe des Holzes und Mineralien werden in die Zellwände eingelagert», erklärt Stamm. Nach dem Fällen der Bambusstangen, belässt man diese noch für etwa einen Monat im Wald. Die Blätter ziehen dann Feuchtigkeit aus dem Holz und so kann eine einfache Vortrocknung im Wald erzielt werden. Nur 30% des im Wald geernteten Bambusses eignet sich für die hochwertige Verwendung. Von diesem Drittel, das Stamm einkauft, haben wiederum nur ein Drittel der Halme die richtige Wandungsstärke und sind ausreichend geradschaftig. Stamm verwendet vor allem die unteren sechs Meter einer Bambusröhre. Denn auch Abholzigkeit ist beim Bambus gegeben. «Unter dem Strich können zehn Prozent des geschlagenen Bambus als Wertholz angesehen werden», erklärt Stamm.

Die Trocknung ist ein Risikofaktor

Die eingekauften Stangen werden zunächst gereinigt. Dies geschieht mit einer Bürste oder dem Dampfstrahler in Handarbeit. Danach werden die Knotenpunkte der Halme im Inneren durchbohrt, damit die fünfprozentige Borsalzlösung im nachfolgenden Tauchbad auch im Inneren der Röhren an jede Stelle gelangt und dadurch ein dauerhafter Holzschutz erzielt wird. Nach fünf Tagen im Tauchbad ist das Material gegen Insektenfrass immunisiert. Anschließend erfolgt eine vierwöchige Vortrocknung an der Luft. Dabei werden die Röhren stehend gelagert und anfangs sogar täglich gedreht, damit an der harten Oberfläche keine Risse entstehen. Die Trocknung von Bambus ist generell risikobehaftet. Entstehen Risse im äußeren Mantel, sind die Festigkeitseigenschaften herabgesetzt und das Material entwertet. Stamm hat zur Trocknung bis auf eine Gebrauchsfeuchte zwischen 15 und 20 Prozent deshalb eine selbst konstruierte technische Trocknungsanlage im Gebrauch. Der Solartrockner bläst warme Luft aus einem auf dem Dach installierten Thermokissen über Schläuche, die durch die Bohrlöcher ins Innere des Bambus geführt werden, in die Röhren hinein. So trocknet das Material von innen nach außen, was das Risiko der Rissbildung minimiert. Pro Tag erreicht Stamm mit seiner Trocknungsanlage eine Absenkung um ein Prozent Holzfeuchte. Danach wird das Material nach Qualität und Durchmesser sortiert und eingelagert. Auch in der Heimat eine Nische;  Konkurrenz hat Stamm wenig bis gar nicht. Denn das Wissen um die Behandlung und die richtige Verarbeitung des Bambus ist heute kaum noch präsent. Trockene und immunisierte Ware auf Lager, das haben nur ganz wenige Holzhändler in Kolumbien. Oft wird nicht geeignetes Material verbaut, das verfault oder die Konstruktionen sind mangelhaft. Bambus ist für jedermann zugänglich und preiswert. Nicht zuletzt wegen vieler Laienkonstruktionen ist der Bau mit den verholzenden Gräsern auch in den ärmeren Ländern der Tropen nicht hoch angesehen. Eine Doktorarbeit aus den Niederlanden kommt gar zu dem Schluss: «Auch in Regionen der sogenannten 3. Welt findet Bambus als Baustoff nur selten Anklang, da die daraus entstehende Architektur als ärmlich angesehen wird. Dazu kommt, dass selbst die Architekten und Bauingenieure lieber auf besser erforschte und erprobte Baustoffe ausweichen». Dabei hat das Bauen mit Bambus eine lange Tradition in den Tropen. So findet sich im Goldmuseum Bogota zu Ehren des Guadua Bambus sogar ein Stück aus reinem Gold als stummer Zeuge der einstigen Bedeutung des Bambus für die Bau- und Wohnkultur Kolumbiens. Das ganzjährig warme Klima ist Voraussetzung dafür, dass Bauten aus Bambus auch funktionieren. Denn die allerwenigsten Stangen sind wirklich gerade, und so muss man mit Materialtoleranzen leben. Müssten die Gebäude gedämmt oder winddicht sein, wäre die Konstruktion mit Bambus ein hoffnungsloses Unterfangen. Weil viel Wissen um das Bauen mit Bambus in den Erzeugerländern verloren gegangen ist, bediente sich Stamm am Anfang seiner Arbeit eines einfachen Hilfsmittels. Die Konstruktionsprinzipien fand er in Deutschland, besser gesagt, in deutschen Büchern. «Um 1900 gab es hierzulande auch kein dickes Holz, also baute man mit dünnen Rundstangen. So konnte ich ganze Bauanleitungen einfach übernehmen. Mit Bambusstangen zu arbeiten ist genauso, als ob man mit Fichtenstangen in Durchmessern zwischen 12 und 15 cm konstruieren würde. Die Knotenpunkte der Konstruktionen werden heute allerdings mit Gewindestangen verschraubt und der Abstand zum Boden wird durch eine Art Balkenschuh erreicht. Inzwischen ist Stamm, Holzhändler, Zimmermann, Bauingenieur und Architekt in einer Person.

Die Zukunft ist wohl nicht rund

Die Zukunft gehört dem Bambuswerkstoff ist Stamm überzeugt. Aber ob diese nur dem runden Querschnitt gehört, da hat er inzwischen Zweifel. Auch weil in anderen Teilen der Welt mit dem Rohstoff Bambus – und neuen Techniken interessante Dinge entstehen. In China zum Beispiel, hat man ein Verfahren entwickelt, mit dem der ringförmige Querschnitt flach zu einer Platte gepresst wird. Das besondere daran ist, dass so die härtesten Schichten außen bleiben und das natürliche Rohdichteprofil bei diesem Produktionsverfahren nicht verändert wird. Auch ein verdichteter Plattenwerkstoff ist bereits auf dem Markt. Sperrhölzer wie Stab- oder Stäbchenplatten sowie Parkett sind längst etabliert. Die fast perfekte Röhre wird zunehmend zur Platte umgeformt und damit zum Vollquerschnittmaterial. Auch Stamm forscht deshalb derzeit an Verfahren, die Röhre ohne Materialverlust in eine standardisierte Querschnittform zu bekommen. Vielleicht kommt dann für Bambus der Durchbruch.

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Bamboo Buggy by Jörg stamm

Schule fürs Leben

Der deutsche Verein „Schule fürs Leben“ engagiert sich im Süden Kolumbien im armen Stadtteil Montebello, Cali. Eine große Schulanlage mit Küche und Ausbildungswerkstätten sind bereits entstanden. Täglich kommen Mädchen und Jungen aus der Armensiedlung Montebello in die Schule und bekommen so nicht nur eine Grundbildung, sondern lernen auch mit dem Material Bambus umzugehen. Denn alle Gebäude sind unter Anleitung von Architekten und Bauplanern sowie mit tatkräftiger Hilfe von vielen Freiwilligen aus Bambus entstanden. Auch Zivildienst auf freiwilliger Basis kann für das Projekt in Cali geleistet werden. Mehr Informationen über das Projekt, die Arbeit vor Ort sowie ein Filmbeitrag über Bambushäuser in Kolumbien im Rahmen von „Global Ideas“ der Deutschen Welle gibt es im Internet unter www.schulefuersleben.de

Viele Arten nur wenig erforscht

Weltweit gibt es mehr als 1400 verholzende Bambusarten. Die meisten davon weisen einen hohlen Halm auf, der durch Knoten unterteilt ist. An den Nodien (Knotenpunkten) werden die sogenannten Internodien (Zwischenstücke) durch eine querliegende Wand, dem Diaphragma, unterteilt. Das Bambusmaterial besteht aus einer Matrix, die die Fasern zusammenhält. Diese Fasern verlaufen axial und verdichten sich am oberen Ende eines Halmes, sowie am äußeren Rand. An den Nodien verlaufen die Fasern in das Innere des Halmes oder enden vorher. Radiale Faserstrukturen existieren nicht. Die Masse des Bambus setzt sich hauptsächlich aus 50% Zellulose und bis zu 30% Lignin zusammen. Bambus gilt wegen seiner in Summe unglaublichen Eigenschaften als Wundermaterial. Es wächst unglaublich schnell, ist hinsichtlich der Materialeffizienz (die doppelt so hoch ist, als beim Holz) sowie wegen seiner Materialkennwerte ein Baumaterial, dass seines Gleichen sucht. Zu manchen Bambusarten wurde geforscht und deren und deren Eigenschaften und Kennwerte des Materials ermittelt – auch in den Ursprungsländern. Als durchschnittlicher E-Modul für Guadua ermittelte die Universität in Cali 2150 kN/cm2. Noch in den achtziger Jahren wusste man nur wenig über das Bambusmaterial, das mit seinen mechanisch-technischen Eigenschaften unserem Bauholz weit überlegen ist. Noch heute gilt das für viele Arten. Genauso wie Holz, braucht es jedoch eine sachgerechte und handwerklich saubere Bearbeitung und Anwendung, damit Bambus seine Vorteile ausspielen kann.

Christian Härtel